Mittwoch, 29. Mai 2019

Vorwärts zu Kreisky und zurück


Buchbesprechung / Bernhard Redl / 'akin - aktuelle informationen'
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Zu dem Buch von Markus Gartner:
"Politik muss wieder für die einfachen Menschen gemacht werden."
Ein Plädoyer für eine diskursive, pluralistische und solidarische Gesellschaft und eine neutrale Friedensrepublik Österreich
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"Es ist ein nettes kleines Büchlein. "Politik für die einfachen Menschen" -- naja. Hat man schon häufiger gehört. Von so ziemlich jeder politischen Partei.
Aber was heißt das?
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Was Gartner möchte, ist ein netter und fairer Sozialstaat. Grundlage sei eine ordentliche Gewaltentrennung und ein Staat, der mittels Bildung und sozialem Ausgleich für eine faire Basis für Diskussionen sorgt, die dann wiederum zu gerechten Gesetzen führen. Daß das aber nicht so ohne weiteres realisierbar ist, weiß Gartner auch:
"Wer hungert, durstet, kein Dach über dem Kopf hat oder über kein geregeltes, existenzsicherndenes Einkommen verfügt, kann sich nicht auf Diskussionen und Diskurse einlassen, weil er sich auf seine Existenzsicherung konzentrieren
muss. ...
Es kann auch eher als unwahrscheinlich angesehen werden , dass jemand, der 90-mal soviel besitzt wie der andere am Diskurs Teilnehmende nicht über mehr Möglichkeiten der Durchsetzung seiner Argumente als diese andere Person besitzt."
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Das ist richtig. Nur:
Das Problem bei diesem Büchlein ist, daß es ein bisserl das Pferd von der falschen Seite aufzäumt. Denn wie soll man bitte die Gesellschaft dazu bringen, daß diejenigen, die das Sagen haben, darauf verzichten, wenn man sich nicht dazu zwingt.
Nunja, der Autor ist Religionslehrer und da kann man halt leider kein materialistisches Denken erwarten -- Kampf von unten gegen die Obrigkeit kommt da einfach nicht vor.
Sein Credo: "Unsere Antwort auf den Hass ist die Liebe." Ist ja ganz lieb.
Aber wird sich irgendwas ändern, wenn die "einfachen Menschen" ihren Nächsten lieben? Kaum. Damit kann man zwar das "divide et impera" bekämpfen, was sicher eine gute Idee ist, aber solange es eben diejenigen gibt, die das -zigfache von Otto Normalverbraucher haben, wird die das nicht kratzen -- zumindest nicht solange, wie Nächstenliebe nicht heißt, daß die Besitzenden ihre Besitztümer hergeben. Oder sollen wir von unten die
Obrigkeit lieben? Nein, das bringts wohl auch nicht, solange diese Liebe nicht erwidert wird und diese Erwiderung auch materielle Auswirkungen hat.
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Vieles an der Kritik Gartners ist dabei völlig richtig !
Vor allem seine Geiselung des Nanny-States, der immer am Besten weiß, was gut für uns ist, ist sehr erfreulich -- ihm geht es da vor allem um seiner Meinung nach
überschiessende Gesetze im hochpersönlichen Bereich wie Jugendschutz, Tabak- und Cannabisverboten oder das Zunichtemachen der von den "1968ern zum Teil
durchgesetzten sexuellen Befreiung". Ein politisch korrekter Grüner ist also wohl nicht.
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Und: "Damit sich die Menschen frei entfalten können, braucht es aber neben der Reduzierung von Vorschriften und Verboten auch ein Bildungssystem, das für eine umfassende Allegmeinbildung sorgt und kritische Reflexion fördert, und einen Sozialstaat, der für sozialen Ausgleich, Chancengleichheit und der Schaffung von Möglichkeiten sorgt. Der Staat muss daher mehr Geld für das Bildungssystem und den Sozialstaat ausgeben, wenn er die freie Entwicklung seiner Bürgerinnen und Bürger fördern will."
Ja, schon, denkt sich der Rezensent, aber warum sollte der Staat das wollen?
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Was Gartner gerne hätte, wäre sowas wie Kreisky plus Grundeinkommen -- nur halt demokratischer. Aber wie dahin kommen? Nun, neben Liebe und Solidarität
fällt ihm schon noch ein Mittel ein: Er will eine Bewegung gründen. Hmpf, denkt sich der Rezensent, das hatten wir doch schon ein paarmal.
Ja, Gartner betont auch selber, daß sich sowas nicht so einfach aus dem "Boden stampfen oder mittels sozialer Medien herbeischreiben" ließe. Aber irgendwie klein
beginnend von unten sollte das ja möglich sein, so Gartner. Und irgendwann sollte man dann als Bewegung bei Wahlen kandidieren und alles ändern. Ja, eh...
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Es ist ein mutiges Büchlein, eine freche Schrift, wo man sich denkt, ja, warum soll man nicht ein bisserl naiv sein und schreiben, wie man die Welt gerne hätte -- auch wenn es unrealistisch ist. Nur leider wollte der Autor wohl gleichermassen zuviel und zuwenig -- zum einen will er nur mittels Liebe die Welt oder zumindest Österreich verändern, zum anderen schon auch einen repressiven Staat, der das tut, was diese Bundesregierung auch will:
"Diese Arbeitsmigration muss im Großen und Ganzen gestoppt werden, damit es nicht zu sozialen Verwerfungen kommt. Österreichische Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer müssen am österreichischen Arbeitsmarkt bevorzugt werden."
Hm... Wie paßt das zusammen mit Gartners Losung: "Unsere Antwort auf den Egoismus ist die Solidarität." Gilt das nur national? Ja, es bedarf einer Kritik der Migration als Werkzeug der Ausbeutung. Aber "Solidarität" ist das
halt nicht, wenn das zur Folge hat, daß man die Grenzen schließt oder Ausländer am Arbeitsmarkt diskriminiert.
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Sorry, nein, es war einen Versuch wert, aber dieses Büchlein ist leider weder Fisch noch Fleisch, weder realpolitisch noch visionär. Immerhin, es war doch wert, gedruckt zu werden, und zwar wegen des selbstironischen
Covers. Dort sieht man den Autor abgebildet im Blauhemd, mit allen möglichen Abzeichen an der Brust von kommunistisch über sozialdemokratisch bis christlich, in der einen Hand eine Autobiographie von Bruno Kreisky, in der anderen eine rotweißrote Fahne mit Friedenstaube und das alles vor dem Hintergrund der drei Pfeile der Sozialdemokratie -- die alle auf den Autor weisen. Das hat was.
Schließlich zeigt es doch, daß der Autor auch ein wenig
über sich selbst lachen kann. Und das ist viel wert! "
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*Bernhard Redl*
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'.
Texte im akin-pd muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe veroeffentlichten sein. Nachdruck
von Eigenbeitraegen mit Quellenangabe erbeten.
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